Warum Flüssiggas-Tanker absurderweise vor den Küsten Europas im Stau stehen
Die Gas-Pipelines aus Russland stehen still, der Kontinent zittert vor einem kalten Winter und ringt um den Energiemarkt – aber draußen am Meer, vor den Häfen von Spanien, Portugal, Großbritannien, Deutschland oder den Niederlanden warten Schiffe voller Flüssiggas (LNG; Liquid Natural Gas) darauf, dass sie ihre Ladung endlich anbringen können. Die Situation ist eigentlich absurd, wenn man sich daran erinnert, wie etwa deutsche Politiker:innen im Ausland um LNG-Versorgung warben.
Doch wie Daten aus dem AIS (Automatic Identification System) zeigen, sind aktuell auf den Weltmeeren etwa 268 LNG-Schiffe unterwegs. Sie transportieren verflüssigtem Erdgas bei etwa -160 Grad Celsius in großen Tanks. LNG hat nur etwa ein Sechshundertstel des Volumens von gasförmigem Erdgas, somit lassen sich im Flüssigzustand große Mengen transportieren. Doch am Ziel angekommen, muss dieses Flüssiggas in entsprechenden Vorrichtungen wieder in den Originalzustand versetzt werden, damit Haushalte und Industrie es nutzen können.
Aktuell sind es jedoch 51 LNG-Schiffe, die vor Europas Häfen darauf warten, ihre Fracht abladen zu können. Doch es stockt. Denn es kommen mehrere Faktoren zusammen, die die Frachter auf offener See lassen. Einer ist das Wetter: Aufgrund des milden Herbstes ist der Gasbedarf in Europa etwas niedriger als in anderen Jahren. Dazu kommt, dass die Gasspeicher der EU-Kommission zufolge einen Füllstand von mehr als 92 Prozent erreicht haben und damit oft gar nicht mehr viel neues Gas aufnehmen können.
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Eine Frage des Preises
Außerdem mangelt es teilweise an Möglichkeiten, das LNG an Land zu bringen. Deutschland, besonders herb vom Energiekrieg Russlands getroffen, versucht, so schnell wie möglich LNG-Terminals zur Regasifizierung des Flüssiggases zu erreichten. Doch die neuen Terminals, die in Wilhelmshaven, Brunsbrüttel, Stade und Lubmin entstehen, werden erst frühestens Ende des Jahres in Betrieb genommen – die meisten ohnehin im Laufe des Jahres.
Das Gerade vor spanischen Häfen so viele LNG-Schiffe warten, hat ebenfalls einen technischen Grund. Denn die Pipelines, die von der iberisches Halbinsel nach Resteuropa führen, sind nicht ausreichend dimensioniert, um die neuen Mengen an Gas zu transportieren. Deswegen ist zwischen Spanien und Frankreich eine neue Pipeline namens MidCat in Planung.
Schließlich kommen auch wirtschaftliche Gründe dazu, dass sich ein solcher LNG-Schiff-Stau seit fünf bis sechs Wochen entwickelt hat. Denn wie Antoine Halff von Kayrros, einem Analyseunternehmen für den Energiemarkt, gegenüber der BBC sagt, sei es manchmal gewinnbringender für die LNG-Händler, das Flüssiggas nicht im Oktober oder November zu verkaufen, sondern erst 2023. „Sie würden für eine Lieferung im Januar einen höheren Preis erzielen als im November“, so Halff.
Denn dann könnte die Nachfrage wieder steigen. In Europa ist die Stahl- und Betonproduktion, die sehr viel Gas braucht, laut Halff stark zurück gefahren worden. Doch durch nun wieder sinkende Gaspreise könnte dir Nachfrage nach dem Energieträger bald wieder steigen. Währenddessen aber könnten auch asiatische Staaten wie China, Japan oder Südkorea ihren Appetit auf LNG wieder steigern – und die Tanker wären dann bald von den Küsten Europas nach Osten unterwegs.