Interview

Warum Startup-Exits fatal für Europas Digital-Zukunft sein können

Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger, Autoren des Buchs "Machtmaschinen". © Murmann Verlag
Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger, Autoren des Buchs "Machtmaschinen". © Murmann Verlag
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Die „Machtmaschinen“, das sind natürlich Google, Facebook, Tencent und Alibaba, und zwischen die Räder kommen vor allem europäische Startups, die irgendwann einmal an eine gläserne Decke auf dem Weg nach oben stoßen. So in etwa beschreiben die Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge in ihrem neuen Buch „Machtmaschinen“ die europäische Situation – und fordern ein neues Datennutzrecht.

Im Interview mit Trending Topics spricht Mayer-Schönberger, der vor allem für sein Buch „Delete“ zum Thema Recht auf Vergessen im Internetzeitalter bekannt wurde, darüber, wie Europa mit Open Data und Gründergeist gegen die digitalen Übermächte USA und China bestehen kann. Er sagt: „Entrepreneure brauchen Zugang zu Daten“ – und sieht dahingehend einige Probleme in Europa.

„Informationelle Macht“

„Wir alle kennen diese Machtmaschinen aus unserem täglichen Leben“, erklärt Mayer-Schönberger gegenüber Trending Topics. „Die Machtmaschinen sind jene, die über eine große Informationsmacht verfügen – die Googles, die Amazons, die Facebooks dieser Welt“. Diese Machtmaschinen seien so mächtig, „weil sie es geschafft haben, nicht nur großen wirtschaftlichen Mehrwert, sondern tatsächlich auch informationelle Macht aus den Daten schöpfen, die sie über uns gesammelt haben“, erklärt Mayer-Schönberger weiter.

Woher die Macht kommt

*Machtmaschinen / Thomas Ramge, Viktor Mayer-Schönberger

Wie soll man also mit diesen Machtmaschinen umgehen – gerade aus der Sicht Europas? „Dazu muss man erst einmal verstehen, warum diese Machtmaschinen so mächtig sind. Sie sind so mächtig, weil sie Zugang zu enorm vielen Daten haben und diese Daten dazu nutzen, Einsichten zu gewinnen“. Früher habe Innovation bedeutet, eine gute Idee zu haben und sie umzusetzen. Heute bedeute es immer mehr, nicht nur eine gute Idee zu haben, sondern auch die Daten zu haben, mit denen man die Idee umsetzen kann beziehungsweise mit denen man aus der Idee mit Hilfe von maschinellem Lernen ein neues Produkt oder einen neue Dienstleistung erzielen kann. Das machen eben diese Online-Plattformen so beeindruckend gut – und daraus schöpfen sie auch ihre Macht.

Das führe allerdings auch dazu, dass viele andere – insbesondere Gründerinnen und Gründer, Entrepreneure, die keinen vergleichbaren Zugang zu Daten haben, auch viel geringere Chancen haben, weiterhin innovativ zu sein und diesen großen Online-Plattformen Paroli zu bieten. Dieses Ungleichgewicht im Zugang zu den Daten sei allerdings entscheidend für Sieg oder Niederlage. Viktor Mayer-Schönberger und Ramke schlagen also vor, den Zugang zu den Daten aufzumachen. Aus „Entrepreneure brauchen Zugang zu Kapital“ müsse „Entrepreneure brauchen Zugang zu Daten“ werden.

Gläserne Decken für Europas Startups

Allerdings dürfte das nicht ganz so einfach sein. Auch für etablierte europäische Startups, vorwiegend aus dem Fintech-Bereich, gebe es eine „gläserne Decke“. Die hänge mit dem europäischen Umgang mit Daten zusammen. Viktor Mayer-Schönberger führt aus: „Das Erschreckende ist, dass in Europa zwar eine riesige Menge an Daten gesammelt wird, aber 85 Prozent davon nicht ein einiges Mal verwendet werden. Die werden also mit hohem Aufwand gesammelt und dann nicht ein einziges Mal genutzt“. Der Wert der Daten entstehe aber durch die Nutzung. „Wenn ich die Daten nicht nutze und im Keller bunkere, dann habe ich überhaupt nichts davon“. Die interessantere Frage laute also: „Warum werden in Europa so viele Daten gesammelt, aber so wenige genutzt?“

Dafür gebe es eine ganze Reihe von Gründen: Viele europäische Unternehmen hätten noch nicht begriffen, wie wichtig die Nutzung – und nicht bloß das Sammeln – von Daten ist. Zudem würden manche Unternehmen gar nicht wissen, was sie mit den gesammelten Daten machen können. Und: Für die personenbezogenen Daten gebe es auch Grenzen des Datenschutzes. Vergessen dürfe man dabei aber nicht, dass in Europa und der Welt die meisten Daten nicht personenbezogen sind – sondern vielmehr Sachdaten. Die Rechtschreibüberprüfung von Google beispielsweise sei nur darum so gut, weil Google Milliarden von Suchanfragen verwendet hat, um die künstliche Intelligenz zu trainieren.

Viktor Mayer-Schönberger: „Das sind reine Sachdaten, aber da kann kein Startup mithalten“. Sein Vorschlag darum: „Google und die anderen großen Plattformen müssen diese Datenbestände, die sie haben, auch den Startups, Entrepreneuren und kleinen und mittelständischen Unternehmen in Europa öffnen, damit Innovation breit gestreut werden kann“.

Forderung nach gesetzlichen Grundlagen

Mayer-Schönberger argumentiert, dass man Google und Co ja „nichts wegnehmen würde“, wenn andere Unternehmen Zugang zu den Daten bekommen. Im Gegensatz zu physischen Gütern könnten Daten von mehreren Personen gleichzeitig genützt werden, „ohne das der Wert vermindert wird oder verloren geht“. Dafür brauche es allerdings auch eine gesetzliche Grundlage.

Chancen dafür sieht er, mit der DSVGO habe sich gezeigt, dass Europa hier mitbestimmen kann. „Online-Plattformen, auch wenn sie aus Übersee kommen, können sich dem europäischen Recht nicht einfach entziehen“.

Die Idee einer Datennutzungsgrundverordnung

Das Ganze fasst Viktor Mayer-Schönberger als „Datennutzungsgrundverordnung“ zusammen. Wer die Daten für sich behält, darf in Europa keine Geschäfte mehr machen – und erhält auch keinen Zugriff auf den Datenraum mehr. Ist es realistisch, dass sich Facebook und Co von Europa verabschieden, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt? „Es geht hier ja nicht um personenbezogene Daten“, klärt Mayer-Schönberger auf. Es gehe vorrangig um Sachdaten.

Aber: „Wenn Facebook sich daran nicht halten will, muss es sich aus dem europäischen Markt zurückziehen“. Der Markt sei aber stark genug, dass er nicht glaube, dass das für Facebook tatsächlich eine Option sei. Facebook würde zudem „ja nichts verlieren“, andere hätten dafür aber mehr Chancen. Am Ende des Tages würden beide Seiten profitieren, Facebook würde dann nämlich „den Stachel des Wettbewerbs spüren“. Kleine und mittelständische Startups hätten beispielsweise im Silicon Valley gar keine Chance mehr, den Giganten Konkurrenz zu machen. Das habe zur Folge, dass die Innovationskraft sinke.

Innovation braucht Wettbewerb

Ganze Startups würden sich auch darum in einer „Killzone“ befinden. Heute sei es so, dass Gründerinnen und Gründer nicht mehr an die Börse gehen würden, sondern das Startup an einen der großen Player verkaufen. Das auch, weil die Risikokapitalgeber darauf drängen. „Insofern ist die Killzone heute auch ein Platz der Geldübergabe geworden, in dem die großen Online-Plattformen, die dutzende Startups jedes Jahr aufkaufen, den Startups und den Kapitalgebern einen großen Profit bescheren“.

Wer wirklich verliere, seien die Kundinnen und Kunden draußen, „denen in Wirklichkeit wieder ein Mitbewerber am Markt verloren gegangen ist“. Auch wenn der Exit für die Gründerinnen und Gründer ein Erfolg sei, könnten es sich die großen Player am Markt schlichtweg einfach leisten, Mitbewerber auf Verdacht aufzukaufen. „Da muss das Produkt gar nicht so gut gewesen sein“, erklärt Viktor Mayer-Schönberger. Innovation jedenfalls könne nur dort entstehen, wo Wettkampf herrsche.

Wo Europa ansetzen muss

Europa muss also das Mindset ändern? Mayer-Schönberger antwortet mit einer Gegenfrage: „Warum wollen denn Startups überhaupt gekauft werden?“ – und hat auch gleich die Antwort: „Weil, um skalieren zu können, um groß zu werden, sehr oft der Zugang zu vielen Daten notwendig ist. Und genau daran scheitert es. Darum denken viele Risikokapitalgeber, ich habe hier ein Startup, das zwar eine großartige Idee hat, aber keinen Zugang zu den Daten – das verkaufe ich jetzt an eine Plattform, die den Zugang zu den Daten hat“. Das zerstöre aber genau den Wettbewerb. Positive Beispiele kennt er aber auch: Spotify wolle unabhängig bleiben, „das ist sehr zu begrüßen“. Spotify habe auch darum immer innovativ bleiben müssen.

Das europäische Cloud-Projekt Gaia X sieht Mayer-Schönberger indes sehr zwiegespalten, es komme aber darauf an, was daraus gemacht werde. Eine simple Cloud-Alternative dürfe es nicht sein. „Da tue ich mir schwer damit, warum Steuergelder dafür benutzt werden sollten, europäischen Cloud-Anbietern dabei zu helfen, in einem heiß umkämpften internationalen Wettbewerb eine Infrastruktur aufzubauen, die von vornherein praktisch nicht konkurrenzfähig sein kann.

Ähnlich kritisch geht er mit der Blockchain um. Das Wort findet sich nicht ein einziges Mal in seinem Buch. Warum? „Wir wollten kein Buch schreiben, das Bullshit-Bingo betreibt. Wir haben in den letzten Jahren so viel gehört von der Zukunft von Blockchains und das sich alles verändern wird, sind aber heute immer noch an einem Punkt, wo von einigen Nischen-Applikationen abgesehen, diese Technologie immer noch nach einem Geschäftsmodell sucht“.

„Müssen Voraussetzungen schaffen“

Wirtschaft und Gesellschaft würden aber nur von den Machtmaschinen wie eben Facebook und Co bedroht – nicht etwa von der Blockchain. Informationelle Macht werde in wirtschaftliche Großmacht umgemützt – „und am Ende ist der Verbraucher und die Verbraucherin die, die draufzahlen. Sie zahlen höhere Preise für Produkte, die weniger innovativ sind und wo es weniger Vielfalt am Markt gibt. Gerade weil Europa so einen starken Mittelstand hat, so viele gute Ideen hat, divers und vielfältig ist, brauchen wir eine Wirtschaftsstruktur, die das unterstützt. Darum müssen wir die Voraussetzungen schaffen, dass dieses kleinteilige, diversifizierte und vielfältige Europa auch innovativ sein kann“.

Wie diese Voraussetzungen aussehen könnten, wie groß die Sorge vor einem totalen Überwachungsstaat sein sollte und was die Plattformen in China und USA gemeinsam haben, erklärt Mayer-Schönberger in unserem Podcast. Außerdem geht es um Tech-Supermächte, Europas Probleme, wenn der Kontinent nicht wieder innovativer wird und die Macht der großen chinesischen und amerikanischen Plattformen. Und: Viktor Mayer-Schönberger erklärt, warum er denkt, dass die dystopische Welt aus Blade Runner durchaus Realität werden könnte.

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