Weltraumschrott: Eine auf der Erde unsichtbare Gefahr
Wer bei einem Raketenstart live dabei sein will, muss zukünftig nicht mehr bis nach Russland oder in die USA fliegen. In Großbritannien sollen bereits ab Sommer diesen Jahres Raketen ins All starten. Das gab die britische Regierung im Mai 2021 bekannt. Dabei darf jedoch kein Kennedy Space Center wie in den USA erwartet werden: „Wir werden nicht Cape Canaveral bauen“, erklärt Scott Hammond, Betriebsleiter des Shetland Space Centre in einem Interview mit BBC Future: „Die größte Rakete wird etwa 30 Meter groß sein – im Vergleich zu dem, was in Cape Canaveral fliegt, ist das ein echter Winzling!“
Diese “winzigen” Raketen reichen jedoch, um Mikrosatelliten wie den des Startups OroraTech ins All zu bekommen, wir berichteten. Diese neue Generation der Satelliten ist oft nicht größer als Schuhkarton, übernimmt aber zusammen mit den Großen wichtige Aufgaben. Sie bieten Navigationsdienste, Telekommunikation, Wettervorhersage, Klimaüberwachung und Fernsehübertragungen sowie viele andere wichtige Dienste. Damit sind wir mittlerweile von den Flugkörpern abhängig. Deshalb sind sie in Zukunft auch nicht mehr wegzudenken, im Gegenteil. Immer mehr private Unternehmen schicken ihre Satelliten in den Orbit um weitere Dienste anzubieten.
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Millionen von Teilchen Weltraumschrott in unserem Orbit
Jeder neue Satellit gesellt sich auf den Umlaufbahnen zu den bereits vorhandenen. Wie viele das bisher sind, da gehen die Meinungen etwas auseinander, je nachdem welche Messmethode das Institut verwendet. Laut der ESA lag die Zahl am Anfang des Jahres bei circa 5.000 aktiven Satelliten. Dazu kämen jedoch noch über 2.800 defekte Satelliten, über 1.900 ausrangierte Raketenstufen und Millionen von weiteren Teilen Weltraumschrott in der Größe von nur einem Millimeter bis zu zehn Zentimeter. Auch diese Zahlen weichen je nach Messmethode etwas ab, doch die exakten Zahlen würden das Fazit in keiner der Varianten ändern: “Ich denke, dass alle Zahlen, auch wenn sie sich zwischen Esa und Nasa etwas unterscheiden, darauf hinauslaufen, dass es zu viel Weltraumschrott gibt. Ich denke, da sind sich alle einig”, so Nina Klimburg-Witjes, Forscherin an der Universität Wien am Institut für Wissenschaft- und Technikforschung im Gespräch mit Tech & Nature.
Kessler-Syndrom
Dieses Weltraumschrott-Problem ist jedoch kein Phänomen der Neuzeit. Bereits Ende der 1970er Jahre beschrieb Donald J. Kessler, ein Wissenschaftler der NASA, in dem nach ihm benannten “Kessler-Syndrom” die automatische Zunahme von Weltraummüll. Dies geschehe durch zufällige Kollisionen, die wiederum Müll-Teilchen verursachten, die dann wiederum Kollisionen auslösen. Die Vorhersage des Wissenschaftlers erklärt Klimburg-Witjes deshalb folgendermaßen: “Irgendwann ist die Erde unter einer Schicht aus Schrott eingeschlossen, selbst wenn wir ab heute keine Satelliten mehr hochschicken würden und auch keine Raumfahrt mehr betreiben würden. “
Risiken durch Weltraumschrott
Dieses Zukunftsszenario ist, da seien sich Expert:innen laut Klimburg-Witjes einig, ein großes Risiko für die Raumfahrt aber auch das Leben auf der Erde. Das bedeute jedoch nicht, dass die Menschen auf der Erde fürchten müssten zufällig von einem Stück Weltraumschrott erschlagen zu werden. Das viel größere Risiko sei, dass die Infrastruktur von der wir abhängen (GPS, Telefonnetz, Internet…) von Satelliten-Teilen zerstört werden können. “Dadurch könnten einige Dienste aus dem Weltraum, an die wir heute gewöhnt sind, unpraktikabel, teuer oder sogar unmöglich werden”, so Holger Krag, Head of the Space Safety Programme Office der ESA auf Anfrage von Tech & Nature. Zudem werden immer wieder auch Astronaut:innen auf der ISS gefährdet, wenn Teile der ISS zerstört werden. Um solche Schäden anzurichten, sind gar keine Berge von Müll nötig. “Bei durchschnittlichen Aufprallgeschwindigkeiten von etwa 10 km/s zwischen Weltraumobjekten, können selbst kleine Teile eine missionsbeendende Wirkung haben”, so Krag.
Somit sind bereits Tausende von potentiell missionsbeenden Teilchen in unserem Orbit. Verschärft wird die Situation in unserem momentanen “New-Space-Age” jedoch nicht nur durch die immer stärkere kommerzielle Nutzung des Weltalls. Zudem komme laut der Forscherin Nina Klimburg-Witjes hinzu, dass das Weltraum auch zunehmend militarisiert werde. Bei sogenannten Anti-Satelliten-Tests schießen Weltraumnationen wie die USA, China, Indien oder Russland ihre eigenen Satelliten mit Raketen ab. So wissen sie im Ernstfall: Auch der Abschuss von Satelliten feindlicher Staaten wäre möglich. Der letzte solcher Tests wurde vergangenen November von Russland durchgeführt. Bei der Zerstörung des Satelliten entstanden 1.500 zusätzliche Trümmerteile, die direkt die Astronaut:innen der ISS gefährdeten, so Ralf Krauter im Deutschlandfunk.
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Regulierungen auf Basis von Freiwilligkeit
Obwohl damit Weltraumschrott also durchaus eine direkte Gefahr für Menschen darstellen kann, bleibt die Verursachung von solchen Trümmerteilen meist ohne Konsequenzen. Das liege bei den meisten zufälligen Kollisionen vor allem auch daran, dass nicht klar eingeordnet werden kann, wer für den Schaden die Verantwortung trägt, so die Forschende Klimburg-Witjes. Gesetze dafür gibt es nicht, da keine Regierung die Autorität hat, den Weltraum betreffende strikte Regeln und Gesetze zu verfassen, so die ESA.
Nur die UNO und das United Nations Office for Outer Space Affairs kann auf der Basis von Freiwilligkeit regulieren, wie mit dem „global commons“ Raum umgegangen werden soll. Dies muss jedoch mehr als Versuch gesehen werden, die verschiedenen Akteure an einen Tisch zu bekommen und ihnen mehr Verantwortung zu übertragen, als als ein bindendes Gesetz, so Klimburg-Witjes. Einzig einmal wurde ein Weltraumgesetz aufgesetzt. Doch der sogenannte Outer Space Treaty, beziehungsweise in lang der „Treaty on Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, including the Moon and Other Celestial Bodies“, von 1967 ist schon längst veraltet und gibt kaum Regulierungen für Weltraumschrott und die Aktivitäten privater Akteure vor, so die Forscherin.
Dennoch beinhaltet auch schon die bestehende Version des Weltraumvertrags, dass Objekte im Weltall Eigentum des Launching States, also dem Land, dass das Objekt hochgeschickt hat, sind und bleiben. Deshalb sind diese Länder auch dafür verantwortlich, dass ihre Objekte keinen Schaden anrichten. Um daraus jedoch Konsequenzen ableiten zu können, müsste nachgewiesen werden können, welchem Staat welcher Satellit gehört.
Wettbewerbsnachteil für “Emerging Space Nations”
Verschärfungen dieser Regulierungen lehnen jedoch einige Staaten ab, so zumindest die Einschätzung der Forscherin. Dafür gäbe es mehrere Gründe. Der eine sei, dass Länder, die nicht von Anfang an im “Space Race” dabei waren, von den Auswirkungen der großen Player genauso betroffen sind, wie die USA, Russland und China selbst. Sie wollten jedoch ihre oft geringeren Ressourcen nicht darin investieren, hinter den großen Nationen „aufzuräumen“. Sie sehen die Verantwortung für Nachhaltigkeit bei den “Big Players”, die natürlich auch am meisten zur Vermüllung beigetragen haben, so Klimburg-Witjes. Strikte Regulierungen, die die anderen Weltraumnationen zum Start nicht hatten, würden für die “Emerging Space Nations” zusätzliche Wettbewerbsnachteile bedeuten, so die Forscherin.
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“Build-In”-Technologien der ESA
Damit ist das Problem des Weltraumschrotts natürlich nicht aus der Welt. Daher gibt es bereits verschiedenste Lösungsansätze. Die ESA selbst setzt vor allem auf die Verbesserung der zukünftigen Raumfahrzeuge. Laut dem Head of the Space Safety Programme Office der ESA, entstünden die meisten Trümmer heutzutage durch Explosionen. Diese sollen in Zukunft verhindert werden, indem Technologien zur Entleerung/Passivierung von Treibstoff- und Drucktanks und zur Herstellung sicherer Batterien und anderer Restenergie an Bord ausgebaut werden. Außerdem sollen zukünftig zusätzliche Kits vor dem Start an Bord installiert werden, die das Raumfahrzeug aus der Umlaufbahn bringen sollen, wenn es selbst nicht mehr funktionsfähig ist. Wenn es abgeschleppt werden muss, sozusagen.
Ein weiterer Ansatz sei “Design-for-Demise”. “Das bedeutet, dass kritische Komponenten ausgetauscht und durch Varianten ersetzt werden, die beim Wiedereintritt vollständig schmelzen, um die Sicherheit am Boden zu erhöhen”, so Holger Krag.
Dies sind jedoch alles nur Lösungen für Flugobjekte, die sich zum jetzigen Zeitpunkt noch auf der Erde befinden. Nach dem Kessler-Syndrom, müsste aber auch der bisherige Schrott bereits entfernt werden, um zukünftig noch Raumfahrt zu ermöglichen. Das vielleicht bekannteste Projekt, das dies in Angriff nehmen will, ist das ESA-Flaggschiff-Mission Cleanspace-1. 2025 soll die Weltraummission starten und als erste ihrer Art, Trümmer aus der Erdumlaufbahn entfernen.
Müllentsorgung durch Startups
Doch nicht nur offizielle Behörden wie die ESA arbeiten an Versuchen das All zu säubern. Immer wieder gehen Startups wie Clear Space SA durch die Medien, wir berichteten. Mit Technologien wie Greifarme oder “Geckofüßen” stellen die Startups ihre Ideen zur Müllbeseitigung vor.
Unabhängig von diesen beiden Technologien, bewertet Nina Klimburg-Witjes einige Prototyp-Entwicklungen als kritisch: “Was ich sehr kritisch an einigen Startups sehe, ist dass sie das Problem oftmals einfach verschieben wollen. Die entsorgen den Weltraumschrott nicht auf eine Art, dass sie ihn auf die Erde bringen, wo er recycelt werden könnte. Stattdessen verschieben sie ihn in sogenannte Graveyard Orbits. Das sind Orbits, die (noch) nicht gebraucht werden. Das ist das Gleiche, was wir mit unserem Plastikmüll machen, den wir nach Südostasien verschiffen” und weiter: “Ich glaube es gibt viele Startups, die mehr von dem Hype leben, als wirklich vom Nachhaltigkeitsgedanken.“ Außerdem seien, wie auch bei Technologien gegen die Klimakrise, die Prototypen oft zu teuer, als dass sich das Staaten leisten könnten.
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„Was es wirklich bräuchte, wäre ein neuer Weltraumvertrag.“
Unabhängig von der verwendeten Technologie sei das Entsorgen von Weltraumschrott politisch und diplomatisch zudem sehr heikel. Denn die Satelliten gehören, egal ob kaputt oder funktionierend, immer noch ihren Heimatländern. Deshalb hält Klimburg-Witjes auch globale Regulierungen für den wichtigsten Hebel im Kampf gegen die Weltall-Verschmutzung: „Was es wirklich bräuchte, wäre ein neuer Weltraumvertrag.” Und weiter: “Ein zentrales Element wäre, dass wir festlegen wie ein Weltraumvertrag aussieht, der sich auch mit Fragen der Generationengerechtigkeit beschäftigt. Das hat der alte Weltraumvertrag nicht ausreichend getan. Außerdem muss sich ein neuer Vertrag deutlich mit den Fragen von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit beschäftigen, aber auch Fragen von Verantwortlichkeit für bestehenden Weltraumschrott ganz deutlich klären und auch die im Moment verstärkte Militarisierung und Bewaffnung des Weltalls neu regeln. Der erste Weltraumvertrag ist entstanden zu Zeiten des kalten Kriegs, jetzt sieht die Situation völlig anders aus.”
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Forschende blicken vorsichtig optimistisch in die Zukunft
Wie eine Zukunft in der Raumfahrt aussehen könnte, hängt somit völlig von unserem aktuellen Handeln ab. So sieht das zumindest Holger Krag: “Wenn alle bereits genannten technischen Maßnahmen durch eine „Null-Müll-Politik“ in allen Raumfahrtnationen durchgesetzt werden, dann können wir die Umwelt stabilisieren. Sie wird nicht sauberer werden als heute, aber künftige Generationen können die Raumfahrt auf dem gleichen Risikoniveau genießen wie wir. Wenn wir so weitermachen wie bisher, könnten einige strategische Bereiche des Weltraums in 2-3 Generationen bereits unbrauchbar sein.”
Die Forschende Nina Klimburg-Witjes teilt die Bewertung ihres Kollegen, sieht jedoch ein positives neues Bewusstsein: “Spektakuläre Zusammenstöße von funktionierenden Weltraumtechnologien oder von Schrottteilen mit der ISS haben zu einem gestiegenen öffentlichen und politischen Bewusstsein geführt, wie wichtig es ist, hier entsprechende Schritte einzuleiten. Natürlich gibt es immer wieder Parallelen mit dem Klimawandel, auch hier dauert es viel zu lange, bis gehandelt wurde und immer noch wird. Aber das Bewusstsein dafür, wie sehr die Menschheit heutzutage vom Weltraum abhängig ist, ist sehr stark gewachsen. Damit steigt – hoffentlich – auch die Bereitschaft, nachhaltiger zu Handeln und den Weltraum vor weiterer Vermüllung zu schützen.”