Kommentar

Wenn der Kanzler zum Kuscheln kommt

Bundeskanzler Christian Kern fühlte sich sichtlich wohl unter den Jungunternehmern. © Stefan Mey
Bundeskanzler Christian Kern fühlte sich sichtlich wohl unter den Jungunternehmern. © Stefan Mey
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Der Besuch des Bundeskanzlers gestern beim Austrian Startup Stammtisch im Sektor 5 war ein Heimspiel. Strahlende Gesichter, Schulterklopfer und Schmähs über Heurigenbesuche, Fuchsschwänze und geile Felgen. Dabei stand eine ziemlich ernüchternde Botschaft im Mittelpunkt.

Jungunternehmer brauchen Idole, Leitfiguren. Menschen, die Science-Fiction innerhalb von wenigen Jahren wahr werden lassen. Das weiß auch die Politik. Beim Besuch von Christian Kern im Sektor 5 zeigte sich der österreichische Weg: Wir suchen das Heil im Staat und in einem Kanzler, für den die Digitalisierung kein Neuland ist. Kein neues und auch kein typisch österreichisches Phänomen. Mitte der 90er Jahre nahm der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl das „Wunderkind“ Lars Windhorst äußerst medienwirksam mit auf eine Asienreise. Windhorst war der jüngste Teilnehmer der Wirtschaftsdelegation und verkörperte den Jungunternehmer per se: Schulabbrecher, autodidaktischer Programmierer und bald Chef von 80 Mitarbeitern. Jüngster Teilnehmer des Wirtschaftsforums in Davos. Der deutsche Kanzler feierte die aufkeimende New Economy. 2004 meldete Windhorst Insolvenz für seine drei Unternehmen an und sah sich mit einer Klage wegen Veruntreuung konfrontiert. Die erste IT-Revolution fraß ihre Kinder.

Politiker schmücken sich gerne mit dem Draufgängertum der jungen Unternehmer. Christian Kern hat seit Beginn seiner Kanzlerschaft die Nähe zu Österreichs Startup-Szene gesucht, auf dem Pioneers Festival das Startup-Paket angekündigt und es einige Zeit später auch umgesetzt. Gestern folgten weitere Verheißungen: fünf Exzellenz-Cluster sollen in Österreich nach israelischem Vorbild entstehen und ein Innovationsfonds für Anschlussfinanzierungen in Höhe von 300 Millionen Euro. Coole Sache. Opium fürs Volk?

Branchenoptimismus als gesellschaftliches Vorbild 

Man spürte, dass sich der Bundeskanzler in diesem Umfeld wohl fühlt und er sich beinahe für die „langsame Exekutionskraft der Regierung“ entschuldigen wollte. Kern referierte über die Vorzüge der Globalisierung und der Digitalisierung, stellte die Heilung von Krebs in Aussicht und verwies auf die Chancen, die die Automatisierung vieler monotonen Tätigkeiten für den Arbeitsmarkt bringen würde und – ganz Sozialdemokrat – auf die Probleme im Silicon Valley mit der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen arm und reich. Er sei ein Mann der großen Strukturen und Konzerne. An der Startup-Szene schätze er den ungebrochenen Zukunftsoptimismus in wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten, der der Gesellschaft prototypisch auf den Weg in eine digitale Zukunft helfen solle.

Bei aller Euphorie um Wexelerate, den Talent Garden, um 170 Millionen investierte Euro im letzten Monat (165 Millionen davon nur für „Tricentis“), darf man nicht vergessen, den Bogen etwas größer zu spannen und über den Tellerrand zu blicken. Das hehre Ziel, Österreich zu einem führenden Gründerland zu machen, scheint frühestens für die nächste Generation ein Thema zu werden.

„Alles, was wir heute machen, hilft den Gründern in zehn oder fünfzehn Jahren.“

Moderator Daniel Cronin verwies gewohnt textsicher auf den knappen Zeithorizont für Reformen in Bildung und Bürokratie, sowie auf dutzende neu geschaffene Professuren in Berlin, Zürich und Hamburg, die die Universitäten dort wieder wettbewerbsfähig machen sollen und auf die lähmende Starre an Wiens Hochschulen. Kern auf eigene Projekte einer Universitätsreform, die 2025 ihre Blüte entfalten soll. „Alles, was wir heute machen, hilft den Gründern in zehn oder fünfzehn Jahren“, sagte Kern.

Auch die Anekdote Kerns vom Versuch die Pfründe der SVA etwas zu schröpfen, zeigt, dass dem Staat das Zeug zur Leitfigur fehlt. Die Geschichten über überflüssige Vorstände und leitende Angestellte, ihren großen Autos und ihrer Leidenschaft für ein ruhiges Arbeitsleben, zeugten davon, dass jeder CEO an einen Aufsichtsrat gebunden ist und ein Kanzler kein Babo ist, der so eben die Welt aus den Fügen heben kann, wie es ihm gerade passt, sondern sich in „mühsamen Rückzugsgefechten“ mit Koalitionspartnern und Opposition auf Kompromisse einigen muss. „Wenn Sie alle so arbeiten würden, dann säße niemand von Ihnen hier“ war das passende Bonmot zur Lage der Nation. Zur Erinnerung: Nicht einmal schmerzfreie Forderungen, wie die Gleichbehandlung von Angestellten und Selbständigen beim Selbstbehalt nach einem Arztbesuch war durch die Betonmauer der Sozialpartner gedrungen. Auch wir Startup-Gründer zahlen immer noch 20 Prozent der Kosten selbst. Argumentationsgrundlage der Versicherer: eine mögliche Pandemie für die die Milliarden an Rückstellungen möglicherweise benötigt werden würden.

Kommende Woche trifft sich Kern mit den größten Privatstiftungen des Landes. Dort modert Österreichs Privatkapital in Immobilien und Zinshäusern vor sich hin. Hier müssen die richtigen Anreize geschaffen werden, um Investitionen in junge Unternehmen attraktiver zu gestalten. Nur ein Prozent der 100 Milliarden, das in die junge Wirtschaft fließt, würde dem Standort enorm weiterhelfen. Und hoffentlich nicht erst in der Mitte des kommenden Jahrzehnts.

 

 

 

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