Wie digitale Orangen-Zwillinge und Fruchtspione Tonnen an Obst retten sollen
Lebensmittelverschwendung ist ein globales Problem, welches bereits bei einem Blick auf die Situation in Österreich deutlich wird. 790.790 Tonnen an jährlich vermeidbaren Lebensmittelabfällen in Österreich ermittelte der österreichische Rechnungshof in einer Analyse von 2021. Ob damit das oberste Limit bereits erreicht ist, sei dahingestellt.
So gibt der Rechnungshof an, dass diese Zahl auf jenen Daten beruht, welche er im Zuge seiner Prüfung „Verringerung der Lebensmittelverschwendung – Umsetzung des Unterziels 12.3 der Agenda 2030“ eruieren konnte. Die Zahlen würden nur einen „näherungsweisen Überblick“ bieten, so der Bericht, da die Daten zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben wurden– jene zum privaten Sektor etwa 2012, jene zur Außer-Haus-Verpflegung drei Jahre später.
Aktuelle, systematisch und umfassend erhobene Zahlen durch das Klimaschutzministerium (BMK) über das tatsächliche Ausmaß der Lebensmittelverschwendung fehlen, kritisiert der Rechnungshof.
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Richtige Temperatur finden
Eines wird aber auch an den Zahlen schon deutlich: Vermeidbare Lebensmittelabfälle kommen nicht nur im Haushalt und in der Außer-Haus-Verpflegung vor. Auch in der Landwirtschaft, in der Produktion und im Handel landet Essen unverzerrt in der Tonne. Wie zumindest die allein durch den Transport entstehenden Schäden gemindert werden könnten, war jetzt das Thema eines Forschungsteams der Empa in St. Gallen, der südafrikanischen Stellenbosch University und der Universität Bern. Dafür konzentrierten sie sich auf Zitrusfrüchte, digitale Zwillinge und hygrothermische Messdaten, die bisher kaum genutzt wurden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie aktuell im Fachmagazin „Nature Food“.
„Jeder Container auf der Welt ist mittlerweile mit einem oder mehreren Temperatursensoren ausgestattet“, so Mitautor und Empa-Forscher Thijs Defraeye. Bisher seien jedoch die vielfältigen Informationen, die in diesen Messwerten verborgen seien, nicht verwertet worden. Darauf baute das Team rund um die Empa-Forscherin Chandrima Shrivastava und Thijs Defraeye jetzt auf. Mittels mathematischen Auswertungen der physikalischen Prozesse nutzte das Team die Datensätze, um entscheidende Eigenschaften der Früchte im Zeitverlauf zu verfolgen und in weiterer Folge vorherzusagen.
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Hälfte der Transporte nicht ideal
Dafür half der Blick in die Praxis. Die Forschenden verfolgten die Temperaturentwicklung in 47 Containerladungen mit Zitrusfrüchten über den gesamten Transportweg. Daraus ermittelten sie bei den digitalen Zwillingen die Wahrscheinlichkeit von entsprechenden Schäden wie etwa Austrocknung, Verschimmeln oder Verrotten oder erwünschte Veränderungen wie die Sterberate von Fruchtfliegen-Larven anhand von Computersimulationen.
Dabei wurden einige bisherige Unzulänglichkeiten deutlich: „In unserer Studie lagen die Hälfte aller Lieferungen außerhalb der idealen Bedingungen für den Transport“, so Mitautor Defraeye. Das führte zu Fäulnis, Kälteschäden und verdorbener Ware. Die verbliebenen Zitrusfrüchte waren anschließend nach ihrer rund 30-tägigen Reise teilweise nur noch wenige Tage haltbar, so die Forschenden.
Schäden vermeiden
Um dieser Entwicklung vorzugreifen, benötigt es somit eine präzise Einstellung der optimalen Temperaturbedingungen, welche das Team den eigenen Angaben nach durch die digitalen Zwillinge bestimmen konnte. Relevante Risiken wie etwa Fliegenbefall, optische Mängel und Kälteschäden hätten sie dabei gegeneinander abgewogen.
Am Ende der Fahnenstange sind die Forschenden aber bisher nicht angelangt. Noch seien weitere Entwicklungen notwendig bis bis zur Anwendung, geben diese an. Doch schon heute sind sie davon überzeugt, dass, wenn Unternehmen die virtuellen Früchte in ihre Prozesse einbinden, die Lagerungsbedingungen in der Realität optimiert werden können. So könnten Lebensmittelverluste vermindert werden.
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Fruchtspione gegen das Verderben
Das Prinzip des Zwillings-Obstes verfolgen weitere Forschende der Empa derweil nicht nur in der digitalen, sondern auch in der analogen Welt weiter. So arbeitet ein weiteres Team an biophysikalischen Zwillingen von Früchten und Gemüse, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Dafür setzen sie auf Polymer-Modelle, welche die Eigenschaften der Feldfrüchte simulieren. Zusätzlich sind die biophysikalischen Zwillinge mit Sensoren ausgestattet, anhand welcher die Temperatur und der Feuchtegehalt gemessen wird, wie sie an der Schale und im Fruchtfleisch der echten Nahrungsmittel herrschen. Dieser Spion unter den Früchten meldet so präzise Daten, anhand welcher die Bedingungen bei Lagerung und Transport optimiert werden sollen. Einige von diesen Fruchtspionen haben die Forschenden bereits entwickelt. So sind bereits Spion Apfel, Mango, Kartoffel und Avocado bereit, aus der geheimen Welt des Frucht-Transportes zu berichten.