Interview

Wie lange werden wir noch 40 Stunden pro Woche im Büro sitzen, Katharina Thiel?

Katharina Thiel von den Growth Ninjas. © Growth Ninjas
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Die Vier-Tage-Woche beziehungsweise eine Arbeitszeitreduktion werden in Österreich zwar nicht erst seit der Corona-Krise diskutiert, in den letzten Wochen und Monaten kam aber gefühlt ein wenig Feuer in die Debatte. Ist es wirklich noch notwendig, 40 Stunden pro Woche im Büro zu sitzen? Und was ist besser: Vier Tage mit acht Stunden oder fünf Tage mit sechs Stunden? Wir haben bei Katharina Thiel, seit kurzem „Digital Leadership Ninja“ bei den Growth Ninjas, nachgefragt.

Katharina Thiel: Von Microsoft zu den Ninjas

Als langjährige Director of Business Management und Mitglied des Leadership-Teams von Microsoft Westeuropa kann Katharina Thiel auf 15 Jahre Erfahrung im Führen von Remote-Teams und Begleiten der digitalen Transformation in Organisationen zurückgreifen. Seit September arbeitet die „Meisterin der Produktivitätssteigerung von Teams“ bei den Growth Ninjas. 

„Ab einer gewissen Stundenanzahl pro Tag geht die Produktivität gegen Null“, sagt Katharina Thiel. In Österreich gingen die Wogen zuletzt hingegen eher hoch. Von WKÖ-Präsident Harald Mahrer kam eine scharfe Abfuhr für die Idee: „Was wir nicht tun werden: Wir werden die Arbeitszeit nicht verkürzen, weil wir für sündteure Experimente keinen Spielraum haben“, hieß es erst im September. Unternehmen können sich eine Reduzierung auf 30 oder 32 Wochenstunden hingegen durchaus vorstellen, zeigte eine Umfrage von karriere.at. Jede/r Zweite/r wünscht sich demnach eine 30-Stunden-Woche. Was sagt die Expertin zur Diskussion?

Trending Topics: Es gibt zahlreiche Studien, die behaupten, dass weniger Arbeitsstunden die Produktivität steigern soll. Vereinfacht: Wer weniger Zeit hat, arbeitet effektiver. Schaffen wir in vier Tagen, was sonst fünf Tage dauert? Und wenn ja, mit welchen Folgen?

Katharina Thiel: Wer weniger Zeit hat, arbeitet nicht notgedrungen effektiver – aber wer umgekehrt zu viel Zeit im Office verbringt, ist deswegen auch nicht produktiver. Ab einer gewissen Stundenanzahl pro Tag geht die Produktivität gegen Null und sowohl die Qualität, als auch die Quantität der Leistung nimmt ab. Wenn man bereits fünf Stunden an einem Problem gebrütet hat, wird die sechste Stunde in den meisten Fällen auch nicht zur Lösung führen.

Viel erfolgsversprechender ist es da, eine Nacht gut zu schlafen und dann in der Früh weiterzuarbeiten. Zu diesem Thema gibt es auch wunderbare Studien mit Callcenter-Agents: Je länger die Arbeitsdauer, desto länger die durchschnittliche Call-Dauer und desto höher die Anzahl der Kundenbeschwerden.  Viel schlimmer an den langen Arbeitszeiten: die Gefahr eines Burnouts steigt rapide an. Als Faustregel gilt: Ab durchschnittlich 50 Arbeits-Wochenstunden erhöht sich das Burnout-Risiko merkbar, ab 60 Stunden steigt es exponentiell an.

Ganz generell: Wie hängen Arbeitsdauer und Produktivität zusammen? Gibt es überhaupt eine Wechselwirkung?

Ab 50 Wochenstunden nimmt die Produktivität ab, weil Arbeitsgeschwindigkeit abnimmt, Fehlerraten steigen und das Sozialverhalten leidet. Unter der „magischen Grenze“ von 50 Arbeitsstunden pro Woche geht es vielmehr um das „wie“ und woran gearbeitet wird, als um das „wie lange“. Wie gut gelingt es einem sich zu konzentrieren und auf eine Aufgabe zu fokussieren? Wie gut ist man im Erkennen und Beseitigen von Störfaktoren und Zeitfressern? Wie plant man seinen Tag, wann erledigt man strategische, anspruchsvolle und komplexe Arbeiten? Wie klar unterscheidet man Wichtiges von Dringendem? All das lässt sich erlernen. Während wir Anfang der 2000er noch geglaubt haben, mit Zeitmanagement ließe sich die Arbeit bewältigen, geht es heute nicht mehr ums „Fertigwerden“. Kaum jemand ist am Ende eines Arbeitstages mit seiner Arbeit „fertig“, egal wie lange man im Büro sitzt.  Es geht heute vielmehr um kluge Zieldefinition, Fokus, Konzentration und klares Setzen von Prioritäten.

Was sind denn die größten Zeitfresser im Büro? Und fallen die im Home Office weg – oder werden sie nur ersetzt?

Ganz klar: Meetings! Die meisten Meeting-Verantwortlichen haben nicht gelernt, wie man effektive Meetings abhält, bei denen alle Teilnehmer entweder einen aktiven Beitrag leisten oder etwas Wertvolles für sich mitnehmen können. Es fehlt an klaren Agendas, Zielen für das Meeting und/oder der Kommunikation der Erwartungshaltungen. Wer von uns ist noch nicht in einem Meeting gesessen und hat sich gedacht „Was mach ich hier eigentlich?“

Im Homeoffice sind es drei Dinge:

  • Zoom- oder Teams-Meetings – die werden oft als noch größere Zeitfresser gesehen, da man sozial isolierter ist und die gesamte Interaktion über Körpersprache oder Stimmung im Raum nicht mitbekommt. Hier bedarf es neuer, „digitaler“ Führungskompetenzen, um das auszugleichen und Meetings interaktiv zu gestalten und Mitarbeiter engagiert zu halten.
  • Die zweite Kategorie der Zeitfresser sind die zahlreichen digitalen Unterbrechungen bei der Arbeit: Eine WhatsApp da, ein Anruf dort, dazwischen Email-Notifications. Und dann noch schnell LinkedIn, Instagram oder Facebook checken…das alles sind „Produktivitätsvernichter“.
  • Last, but not least: Private Dinge, die man im Homeoffice „mal eben“ zwischendurch erledigt: die Waschmaschine befüllen oder schnell Einkaufen gehen.

80 Prozent Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich kommen dem Unternehmen deutlich teurer – was wäre hier eine denkbare Lösung? Für die fehlenden Arbeitsstunden müssen im „schlimmsten Fall“ ja weitere MitarbeiterInnen eingestellt werden, was der Wirtschaft in der Regel nicht gefällt.

Hier muss ein gesamtheitlicher Kulturwandel stattfinden, von einer Präsenzkultur zu einer Leistungskultur. Dazu gehören selbstverständlich flexible Arbeitsmodelle, in Bezug auf Zeit und Ort der Arbeit. Aber auch das gesamte Performancemanagement und die Leistungsbeurteilung müssen neu gedacht werden. Von der Bezahlung nach Stunden zu einer Bezahlung nach Leistung, gemessen am Erreichungsgrad von Unternehmenskennzahlen wie zum Beispiel OKRs (Objectives and Key Results) Das wird in vielen Unternehmen ein langwieriger Prozess, aber so sieht die Zukunft der Arbeit meines Erachtens aus.

Sind MitarbeiterInnen oft nur anwesend, weil Präsenz oft über Leistung steht? Wie müsste ein Umstieg aussehen?

Ja. Wo Anwesenheit belohnt wird, wird Anwesenheit auch in gewissen Maßen „zelebriert“. Oft wird „am längsten im Büro“ leider noch mit „am produktivsten“ gleichgesetzt. Der Umstieg kann nur über einen Wandel der Unternehmenskultur geschehen, und der kann nur ganz oben starten. Dazu gehört Vertrauen statt Kontrolle, ein neuer Führungsstil, gepaart mit Reward-Modellen, die statt Anwesenheit, Leistung, Impact und Output belohnen.

Wie sieht denn eine „ideale“ Arbeitsform aus – so es sie überhaupt gibt?

Ideal im Sinne von Profitabilität und Mitarbeiterzufriedenheit – die beiden Themen gehen Hand in Hand – sind Modelle, die größtmögliche Flexibilität bieten und Arbeitsumgebungen, die Produktivität und Wohlbefinden der Mitarbeiter maximieren. Bei Büroangestellten bewähren sich „hybride“ Modelle, also ein Teil der Arbeitswoche im Homeoffice, ein Teil im Büro. So bleiben die Teambindung und die Sozialkontakte erhalten und man kann fokussiert im Home Office arbeiten.

Wie arbeiten wir in 10 Jahren? Und welche Rolle spielt die Corona-Pandemie bei dieser Diskussion? Verlegt sich mehr ins Home Office, wird weniger gearbeitet, weil die Krise gezeigt hat, dass es so auch geht?

Fast alle Umfragen kommen zum gleichen Ergebnis: Zwei Drittel der Arbeitnehmer in Bürojobs wollen nicht mehr zur Gänze zurück ins Office, sondern wollen lieber im Homeoffice arbeiten. Corona hat so etwas wie eine „Zwangsdigitalisierung“ vieler Unternehmen gebracht, viele mussten mehr oder weniger über Nacht moderne Kommunikations- und Kollaborationstechnologien implementieren. Digitalisierung hat nicht nur in Österreich einen rasanten Schub gemacht. Woran es aber oft noch fehlt, sind kommunikative, digitale und soziale Kompetenzen für die erfolgreiche Führung virtueller Teams und Sicherheit im Umgang mit veränderten Arbeits-, Kommunikations- und Meeting-Strukturen. Technologischer Wandel ohne den nötigen begleitenden Kulturwandel ist kein erfolgsversprechendes Zukunftsmodell.

Wo wir in 10 Jahren stehen werden? Hoffentlich bei flexiblen Arbeitsmodellen, die Leistung statt Anwesenheit belohnen und ArbeitnehmerInnen sowohl zeitliche, als auch örtliche Flexibilität in der Erledigung Ihrer Aufgaben bieten. Das ist auch ein Generationenthema: Die Generation Z, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommt, wird diese Flexibilität bei der Job-Wahl als wichtiges Kriterium voraussetzen. Jede Firma, die um Talente im Jobmarkt kämpft oder sich mit Employer Branding beschäftigt, wird sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen.

+++4-Tage-Woche: Pro & Contra+++

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