Wie Netflix bei Nutzungszahlen trickst und wie TV eigentlich gemessen wird
Video-Streaming ist der Sargnagel des klassischen TV. Oft prophezeit, hat sich dieser Trend noch nicht wirklich durchgesetzt. Zwar bekommen Netflix, Amazon Prime Video, Apple TV+ oder Disney+ viel Aufmerksamkeit geschenkt – doch wie stark werden diese Dienste nun wirklich genutzt?
Neue Zahlen, die Netflix in seinen Fußnoten verraten hat, deuten darauf hin, dass da getrickst wird. Das börsennotierte Unternehmen aus Kalifornien hat zwar im vierten Quartal 2019 wieder etwa 8,8 Millionen neue Abonnenten dazu gewonnen und hält jetzt bei weltweit etwa 167 Millionen zahlenden Nutzern. Doch durch den Start von Disney+ und Apple TV+ ist das Wachstum im Heimatmarkt nicht mehr so stark wie ursprünglich angenommen. Klar: wenn Konsumenten die Wahl zwischen mehreren Diensten haben, dann entscheiden sich immer mehr gegen Netflix.
Doch da Investoren immer gerne mit großen Zahlen versorgt werden wollen, gibt Netflix Einblicke, wie viele Mitglieder bzw. Haushalte die Inhalte sehen. So sollen etwa
- 76 Millionen Haushalte die neue Fantasy-Serie „The Witcher“ in den ersten vier Wochen nach dem Start gesehen haben, was die erste Staffel zum bisher besten Start einer Serie bei Netflix macht
- 83 Millionen Haushalte den action-Film „6 Underground“ von Michael Bay in den ersten vier Wochen nach dem Start gesehen haben
- 40 Millionen Mitglieder den Weihnachtsfilm „Klaus“ von Sergio Pablo in den ersten vier Wochen nach dem Start
gesehen haben. Klingt fantastisch oder? Zum groben Vergleich: Nur die größten und erfolgreichsten Kinoproduktionen schaffen es, mehr als 80 Millionen Menschen vor die Leinwand zu locken (siehe Tabelle hier).
2 Minuten zählen als „gesehen“
Doch der Teufel liegt im Detail: Es mag sein, dass viele Menschen Netflix abonnieren und sich dort Filme und Serien ankucken. Doch als Seher zählt seit neuestem bereits ein Account, der ein Video mindestens zwei Minuten gesehen hat. Das reicht gerade mal, um sich bei „The Witcher“, das in der ersten Staffel acht Folgen bietet, als Seher zu qualifizieren. Bisher hat Netflix die Zahlen anders berechnet: Als „gesehen“ galt ein Film oder eine Episode einer Serie erst, wenn 70 Prozent der Laufzeit abgespielt wurden.
Netflix erläutert die Änderung der Metriken folgendermaßen:
„Da wir inzwischen Titel mit sehr unterschiedlichen Längen haben – von kurzen Episoden (z.B. Specials mit etwa 15 Minuten) bis hin zu langen Filmen (z.B. „The Highwaymen“ mit 132 Minuten), glauben wir, dass es weniger sinnvoll ist, über Haushalte zu berichten, die einen Titel sehen, der auf 70% einer einzelnen Episode einer Serie oder eines ganzen Films basiert.“
Stattdessen nehme man sich den iPlayer von BBC, YouTube oder The New York Times und deren Messung von Pageviews zum Vorbild. Die neue Metrik der zwei Minuten hat dann auch gleich einen schönen Effekt und liefert im Schnitt 35 Prozent mehr „Views“. „Our Planet“ etwa hatte nach alter Zählart 33 Millionen Seher, mit der neuen jedoch schon 45 Millionen.
TV wird viel härter vermessen
TV wird weltweit (in Österreich etwa durch die Arbeitsgemeinschaft Teletest, AGTT, in den US durch Nielsen) viel härter gemessen, und zwar über die so genannte Durchschnittsreichweite (DRW):
„Die Durchschnittsreichweite oder Sehbeteiligung gibt an, wie viele Personen innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls im Durchschnitt ferngesehen haben. Bei der Berechnung der Reichweite wird die konkrete Sehdauer der Personen innerhalb dieses Zeitintervalls berücksichtigt. Die tatsächliche Sehdauer der zusehenden Personen wird durch die mögliche Sehdauer aller Personen der Grundgesamtheit dividiert und mit 100 multipliziert. Das heißt, jede Person wird mit dem Anteil gezählt, der ihrer Sehdauer im Verhältnis zur Dauer der Sendung entspricht.“
Das bedeutet: Wenn du liest, dass eine Sendung von einer Million Menschen gesehen wurde, dann haben sie eine Million Zuseher von der ersten bis zur letzten Sekunde gesehen, oder auch zwei Millionen Menschen, die jeweils die Hälfte der Sendung gesehen haben.
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