Wie Finmatics die Buchhaltung mit AI-basierter Software umbaut
Das Wiener Buchhaltungs-Startup Finmatics hat eine Software zur Digitalisierung und Automatisierung von Buchhaltungsprozessen entwickelt. Dadurch verspricht das Unternehmen Einsparungen von bis zu 70 Prozent der Zeit in der Buchhaltung und für die Belegverarbeitung. Zu den Kunden von Finmatics zählen über 900 Kanzleien und 50.000 Unternehmen. Auch gehört die Mehrzahl der sogenannten „Big Four“ der Finanzprüfer dazu, beispielsweise KPMG. Im vergangenen Jahr konnte das Unternehmen nach eigenen Angaben den Gesamtumsatz um über 300 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum steigern. Wir sprechen mit Patrick Sagmeister, dem Gründer von Finmatics, über das Jungunternehmen und die Zukunft der Buchhaltung in der digitalen Ära.
Dieses Interview stammt aus unserem neuen Magazin „Retail Startup Report 2023“. Das 50-seitige Magazin steht hier kostenlos zum Download parat.
Trending Topics: Wie hilft Finmatics Unternehmen bei der Buchhaltung?
Patrick Sagmeister: Wir automatisieren Buchhaltungsprozesse für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und für das Rechnungswesen in Unternehmen. Wir arbeiten hier in einer Branche, die unter einem schweren Fachkräftemangel leidet und die noch durch sehr viele manuelle Tätigkeiten geprägt ist.
Was braucht die Buchhaltung, um sich zu modernisieren?
Buchhaltung ist ein sehr komplexes Feld, sie wird in jedem Unternehmen anders gemacht. Buchhalter:innen sind Fachkräfte, die Unternehmen sehr gut kennen müssen. Dieser Bereich braucht nicht nur mehr Digitalisierung von Belegen und anderen Daten, es muss eine vollständige End-to-End-Automatisierung geben. Wir sprechen hier von „Touchless Bookings“. Das bedeutet, dass Transaktionen in die Rechnungswesenabteilung kommen und durch eine Maschine zu 100 Prozent automatisiert verarbeitet werden, ohne dass ein:e Mitarbeiter:in Hand anlegen muss. Das ist unser erklärtes Ziel. Die Branche ist davon noch einen guten Schritt entfernt, aber mit uns geht sie diesen Weg.
Wie ist die Idee zu Finmatics entstanden? Schlechte Erfahrungen mit der eigenen Buchhaltung?
Zum Teil, mein Mitgründer, Christoph Prieler, ist schon sehr lange in dieser Branche tätig. Er hat schon große Rechnungswesen-Abteilungen aufgebaut, unter anderem für Multinationals, wo Tausende Buchhalter:innen arbeiten. Dieser Prozess wurde dort in der Vergangenheit nach Indien und in andere Länder outgesourct. Bei ihm ist dabei immer der Gedanke mitgeschwungen: Okay, das muss im Endeffekt ja auch besser gehen. Ich komme eher aus dem technischen Bereich. Ich habe Christoph eher durch Zufall kennengelernt und er hat mir das Problem gezeigt. Er hat mir erklärt, was alles noch immer manuell abläuft, aber auch was für eine tolle Datenlage hier besteht. Wir haben erkannt, dass es hier Prozesse gibt, die sich mit Machine Learning automatisieren lassen und beschlossen, da etwas zu machen.
Wie sieht also eine richtig digitalisierte Buchhaltung der Zukunft aus?
Eine digitalisierte Buchhaltung der Zukunft ist eine, die komplett im Hintergrund läuft, wo niemand einen Finger rühren muss, also ein Prozess, der komplett in den Hintergrund gedrängt wird. Dokumente kommen hier über verschiedene Wege rein, beispielsweise durch Fotos, die per Mobile App gemacht wurden, oder als automatischer Download von Online-Portalen. Schließlich verarbeitet eine KI wie die von Finmatics die Dokumente automatisiert. Sie liest die Dokumente nicht nur aus, sondern interpretiert sie auch noch aus einer buchhalterischen und auch rechtlichen Perspektive.
Stichwort KI: Momentan sind neue AI-Anwendungen wie ChatGPT in aller Munde. Wie steht Finmatics dazu? Was für Tools verwenden Sie?
Wir haben sehr viel inhouse entwickelt. Auch Sprachmodelle wie die von ChatGPT-Entwickler OpenAI sind gerade bei uns in Entwicklung. Wir können auch keine Tools verwenden, deren API in den USA liegt, so wie bei ChatGPT.
Wo wir gerade von Datenschutz sprechen: Gibt es bei so einer KI nicht auch Bedenken bezüglich dessen?
Immerhin werden in der Buchhaltung sensible Daten behandelt. Das stimmt, deswegen ist bei uns das Thema Datenschutz eine Priorität. Das Hosting unserer cloudbasierten Lösung findet beispielsweise in Deutschland statt. Dort befindet sich nämlich unsere Hauptkundengruppe und wir wollen sicherstellen, dass die Daten Europa nicht verlassen können.
Wer sind die Kunden von Finmatics? Gehören die Big Four der Finanzprüfung (EY, KPMG, pwc, Deloitte) dazu?
Unsere Lösung ist für Rechnungswesen-Profis gedacht, und Profis finden sich in dieser Branche meist beim Steuerberater und bei Wirtschaftsprüfern. Wir sprechen aber hier alle Größen von Wirtschaftsprüfern an, also auch die kleinen, Bilanzbuchhalter, kleine Kanzleien, aber auch die Großen wie beispielsweise KPMG. Buchhalter:innen gibt es aber natürlich auch im Rechnungswesen von Unternehmen. Wir kooperieren mit den Big Four, um Lösungen für genau diese Rechnungswesen-Abteilungen bieten zu können. Hier gehört zu unseren Kunden beispielsweise die Avis Budget Group. Sie haben wir letztes Jahr bei einem der europaweit größten Rechnungswesen-Automatisierungs-Projekte unterstützt. Daneben sind auch SOS Kinderdorf oder die Wiener Stadtwerke Kunden bei uns.
Wie sieht das Geschäftsmodell von Finmatics aus?
Wir haben ein Software-as-a-Service-Modell. Unser Pricing richtet sich nach der Anzahl der Transaktionen, die über unser System verarbeitet werden. Der durchschnittliche Preis beträgt hier etwa 400 bis 500 Euro pro Monat für eine Kanzlei, die die Buchhaltung für viele Unternehmen verrichtet.
Mit diesem Konzept ist Finmatics durchaus erfolgreich. Erst im vergangenen März gab es eine neue Finanzierungsrunde. Wie hoch war diese Runde und wer hat sich daran beteiligt?
Wir haben in der Series A-Finanzierungsrunde von März sechs Millionen Euro aufgenommen. Der Lead-Investor war dabei Mangrove Capital Partners, eQventure war als bestehender Investor erneut beteiligt.
In diesem Jahr wurden Investor:innen aufgrund der harten Wirtschaftslage im vergleichsweise deutlich zurückhaltender. Haben Sie das auch so erlebt?
Ja, ganz klar, der Markt ist in diesem Jahr sehr schwierig und Investor:innen sind sehr vorsichtig. Dementsprechend ist auch das Aufstellen einer Finanzierungsrunde in dieser Zeit nicht einfach. Schon bevor wir überhaupt gestartet haben, mussten wir erst sichergehen, dass wir ein jährliches Wachstum von 150 Prozent vorweisen können. Wir mussten auch die Gründer entlasten, weil das Thema Funding auch viel Zeit und Ressourcen kostet. Dazu kam noch, dass wir in einem von schlechter Stimmung geprägten Markt nach Investor:innen gesucht haben. Besonderer Dank gilt hier unserem Seed-Investoren von der eQventure, die für uns Kontakte mit verschiedenen Fonds aufgebaut haben. Diese wollten sich auch mit uns unterhalten, aber wir mussten in Summe über 100 Pitches durchführen, das hat uns natürlich viel Zeit gekostet. Es gab viele Absagen, viele haben uns gesagt, sie steigen erst in der Series B ein oder warten darauf, dass wir einen Lead-Investor haben. Doch sobald die Term Sheets da waren, wurden die Dinge einfacher. Hier hatten wir den Luxus, einen Geldgeber auszusuchen, und die Wahl fiel am Ende auf Mangrove.
Und was machen Sie nun mit dem neuen Kapital aus der Finanzierungsrunde?
Die Mittel sollen vor allem für das weitere Wachstum in Deutschland und den Ausbau des Teams an den Standorten Wien und Berlin sowie für die Produktentwicklung dienen. In Berlin wollen wir dieses Jahr bis zu 20 Mitarbeiter:innen einstellen. Außerdem wollen wir im Jahr 2024 in weitere europäische Länder expandieren. Unser Kernmarkt ist Österreich und wir sind vor etwa anderthalb Jahren in Deutschland an den Start gegangen, hier haben wir eine Partnerschaft mit dem Platzhirschen DATEV erreicht. Während wir schon eine sehr große Marktdurchdringung gerade bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern in Österreich vorweisen können und ähnlich viele Kund:innen in Deutschland haben, stehen wir in letzterem Markt erst ganz am Anfang. Aktuell liegt der Fokus darauf, den deutschen Markt richtig aufzubauen. Wir bauen dafür unter anderem ein größeres Büro in Berlin.
Und wie sehen die Pläne in Bezug auf das Produkt aus?
Hier ist noch viel zu tun. Im Kern steht bei uns das Thema Automatisierung. Wir wollen es ermöglichen, immer mehr Prozesse zu automatisieren und irgendwann sogar an 100 Prozent der Vorgänge heranreichen. Die Automatisierung wird natürlich immer kostspieliger, es braucht immer mehr Daten für das Training der KI-Modelle, außerdem ist es nötig, die Modellarchitekturen zu testen. Darüber hinaus ist es auch wichtig, zu prüfen, welche Bereiche sich zusätzlich automatisieren lassen. In diese Bereiche investieren wir und bauen neue Development-Gruppen auf.
Finmatics: Wie das Buchhaltungs-Startup zu seiner Sechs-Millionen-Euro-Finanzierung kam