Führen in unsicheren Zeiten: Wie man sein Startup durch die COVID-19-Krise manövriert
Klaudia Bachinger hat mit Carina Roth das Wiener Startup WisR gegründet, um eine Job-Plattform für ältere Menschen im deutschsprachigen Raum zu etablieren. Zuletzt hat WisR es in das Google-Förderprogramm „Immersion: Female Founders“ geschafft. Bachinger beschreibt, was sie in dem Programm lernt, und gibt ihr Wissen an euch Leser weiter.
In den vergangenen Monaten war nichts, wie es früher war. Der Lockdown. Das Homeoffice. Viele Geschäftsideen, die von heute auf morgen plötzlich wertlos sind.
So auch bei uns: eine Plattform für Menschen im Ruhestand, die plötzlich über einen Kamm geschert und als Risikogruppe eingestuft werden, sowie der gesamte Arbeitsmarkt, der einen massiven Einbruch erleidet und Angebot und Nachfrage auf den Kopf stellt. Viele Entwicklungen, bei denen wir als Unternehmer mehr oder weniger lediglich Zaungäste sein können.
Oder?
Einige der Start-ups im Google Förderprogramms “Immersion – Female Founders” hat die Krise jedenfalls mehr, als ihnen lieb war, geschüttelt. Viele haben durch sie Kunden verloren und damit existenzielle Umsätze eingebüßt, manche eigene Mitarbeiter, manche sogar Investoren. Was mir auffiel, waren zwei interessante Trends: 1. je analoger das Geschäftsmodell und damit die Verankerung in der Realwirtschaft, desto schlimmer die Verluste. Und zweitens: je weiter entwickelt (later stage) und damit weit vorangeschritten in der – oftmals sehr aggressiven – Wachstumsphase, desto tiefer die Einschnitte.
Neue Realität für Gründer
Google hat früh erkannt, dass es neue Herausforderungen für Gründerinnen gibt und hat, nachdem man uns alle nach unseren Bedürfnissen befragt hatten, seine Inhalte ebenfalls auf eine Art Krisenmodus umgestellt. Leadership in unsicheren Zeiten war das Thema der Stunde. So wurde etwa der Sales-Workshop angepasst – schließlich geht’s in der Krise nicht mehr primär ums Verkaufen, sondern auch darum, das eigene Geld zu sparen. Aus dem Recruiting-Workshop wiederum wurde kurzerhand eine “People Ops”-Session, wo wir lernten, mit dem Thema Kündigungen umzugehen oder eine Personalplanung für eine unsichere Zukunft zu machen. Auch Fundraising in Krisenzeiten war Thema.
Unsere persönliche Entwicklung als Leader blieb, wie geplant. Mit den Coaches und Mentoren konnten wir Gründerinnen hier einiges weiterbringen.
Im Nachhinein betrachtet, hätte ich mir gewünscht, gerade bei diesen Themen anders, als nur virtuell, kommunizieren zu können. Auf Hunderte Kilometer Distanz geht zwischen den Bildschirmen nun mal auch viel Zwischenmenschliches verloren. Etwas, das in diesen Zeiten eben doch auch wichtig gewesen wäre.
Andererseits hatte Remote-Arbeit zu diesen Themen auch seine Highlights: So konnten wir auch von internationalen Experten und Speakern, die es persönlich wohl eher nicht zu den geplanten Treffen nach Berlin geschafft hätten, lernen. Mein persönliches Highlight: ein Workshop mit einer Expertin zu Behavioral Economics & Product Design.
Chance ist eine Frage von Mindset
Wenn ich in der Gruppe an Gründerinnen eines sehen konnte, dann das: jede Unternehmerin glaubt weiterhin daran, einen wertvollen Beitrag für die Welt zu leisten.
Eine Wirtschaftskrise offenbart, wozu Jungunternehmer wirklich imstande sind: in einer innovativen, unvorhersehbaren Welt ein positives Mindset zu behalten. Wir sind optimistisch, rappeln uns auf, denken um. Wir sind agil, leichtfüßig, wendig, pivotieren schnell und stellen uns neu auf.
Und, ehrlich gesagt, würde uns alles andere unsere Daseinsberechtigung kosten.
Meine Founder-Learnings:
- Ein Lightbulb-Moment war: Gründer müssen die Fähigkeit entwickeln, ihre ursprüngliche Idee loszulassen und sich den Gegebenheiten am Markt anzupassen. Meine persönliche Motivation mit WisR war es 2017, Menschen zu helfen, etwas für sie zu bewirken. Schafft man das plötzlich nicht mehr, fühlt es sich wie Scheitern an. Ich denke, bei Impact-Gründern (und beinahe alle Gründerinnen im Programm lösen gesellschaftliche Probleme) ist das Thema ein noch größeres. Sie haben ja nicht nur eine Idee, die man skalieren kann, sondern wollen auch etwas bewegen. Die Google-Coachings haben mir beim Annehmen dieser neuen Einstellung sehr geholfen. Ich habe gelernt, meine erste Vision loszulassen und etwas Neues zu starten. Am Ende des Tages hat sich schließlich jede Teilnehmerin des “Immersion: Female Founders” mit dem Thema Neuausrichtung beschäftigen müssen.
- Wer New-Work predigt, muss anpassungsfähig sein. Das bedeutet mitunter auch, seine Mitarbeiter einzeln abzuholen und auch zu coachen, sich auf neue Gegebenheiten einzulassen. Führungskräfte dürfen bei all den Themen, die um sie selbst kreisen, nicht vergessen, die eigenen Leute mitzunehmen.
- Transparent zu kommunizieren, ist ein Muss. Alle Stakeholder – Team, Investoren, User und Kunden – müssen verstehen, wie sich die neue Realität auf das bisherige Produkt und Positionierung auswirkt und welche Szenarien dadurch entstehen.
- Verletzbarkeit zu zeigen, bedeutet Stärke. Leader dürfen (und müssen) zeigen, dass es für sie auch schwierig ist. Es macht sie authentisch und glaubwürdig – und ist das Schlüsselelement um wertvolle Beziehungen aufzubauen und Loyalität zum Unternehmen zu stärken. Bei fast jeder Google-Session ist zwischendrin mal ein Kind durch die Videokonferenz gelaufen, sowohl Gründerinnen als auch Vortragende haben Homeschooling gemacht, viele erlebten gerade in dieser Zeit eine extreme Doppelbelastung. Für andere wiederum war Einsamkeit und der fehlende physische Kontakt ein Thema. So zu tun, als steckten alle alles locker weg, wäre eine Lüge.