WisR-Gründerin Bachinger: „Das Wichtigste ist gar nicht das Geschäftsmodell“
Das Wiener Startup WisR vermittelt aktive Pensionisten an Arbeitgeber und will so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: alten Menschen eine sinnvolle Tätigkeit geben und eine immer größer werdende Lücke am Arbeitsmarkt schließen. Gegründet wurde WisR 2017 von Klaudia Bachinger, Carina Roth und Martin Melcher. Im Trending Topics Podcast spricht Bachinger mit unserem Host Max Lammer über ihre eigene Oma, die Schwierigkeit gut Co-Founder zu finden und Digitalisierung in einer alternden Gesellschaft.
Startups, Innovatoren, Neudenker: Im Trending-Topics-Podcast sprechen wir mit herausragenden Persönlichkeiten über ihre Unternehmen und Challenges. Eine Couch, ein Mic, ein Thema – wir blicken mit Experten hinter Kulissen. Von und mit den beiden Hosts Martin Giesswein und Max Lammer. Abonniere uns auf Spotify oder YouTube!
Max Lammer: Was ist dein Background? Du warst ja ursprünglich Dokumentarfilmerin, Cutterin und Redakteurin. Was hat dich dazu bewegt zu gründen?
Klaudia Bachinger: Ich habe mich immer sehr viel mit gesellschaftlichen und politischen Themen beschäftigt, auch in meiner Zeit als Redakteurin. Da waren zwei große Themen immer sehr präsent. Das eine war die Zukunft der Arbeit, also wie werden wir überhaupt noch arbeiten, gibt es uns überhaupt noch im Arbeitsumfeld, welche Jobs entstehen, welche fallen weg. Und das andere Thema ist Silver Society. Mir ist bewusst geworden, dass das ein Mega-Thema ist und irgendwie traut sich da keiner etwas tun.
Und es gab auch eine persönliche Motivation. Meine Oma ist mit 60 in Pension gegangen. Da habe ich es direkt in der Familie mitbekommen, wie schnell man wirklich auch depressiv wird, wie man seine Identität verliert, wie es sowohl physisch als auch psychisch schnell bergab geht. Einfach weil die Menschen von außen gesagt bekommen „Hey du bist jetzt alt, du bist jetzt in Pension“, beziehungsweise weil sie sich dann auch selbst einreden „Ich bin jetzt in Pension, ich bin eh schon alt, ich warte quasi nur mehr auf den Tod“. Das macht sehr viel mit Menschen und das war dann auch die Motivation, das weiterzuführen.
Also ein typisches Beispiel, dass man aus persönlicher Betroffenheit etwas macht, obwohl es von deinem Background nicht vorgegeben war?
Ich hatte vor 2,5 Jahren die Idee einer digitalen Plattform, wo Menschen, die bereits in Pension sind, noch Jobs finden können. Ich habe mir den Youtube Kanal „How to start a startup“ angeschaut und habe dann gemerkt: Das Wichtigste ist gar nicht das Geschäftsmodell, sondern Mitgründer. Und das hat dann ein ganzes Jahr gedauert. Ich glaube damit kämpfen auch ziemlich viele, Mitgründer zu finden, die dich ergänzen in deinen Kompetenzen und die dann auch zu dir passen und die Vision bzw. Passion für dieses Thema haben. Ich habe Martin (Melcher, Anm.) als technischen Co-Founder gefunden, der selbst auch schon 45 ist, und Carina (Roth, Anm.), die das ganze Wirtschaftliche abdeckt.
Ihr verbindet unterschiedliche Player, Angebot, Nachfrage in ganz unterschiedlichen Konstellationen. Wie siehst du eure Rolle und wie funktioniert aus deiner Sicht eine Plattform.
Wir sind der Matchmaker, also die digitale Plattform, wo sich beide Seiten treffen können. Wir sind keine Agentur, die vermittelt. Das haben wir am Anfang natürlich auch gemacht um zu lernen. Ich kann nicht einfach eine Plattform machen und glauben, dass da beide Seiten einfach kommen und sich die Plattform von alleine füllt. Ich habe damals begonnen mit einer einfachen Landing Page und zwei Google Forms, wo sich beide Seiten eintragen konnten und ich war der Matching Algorithmus. Ich habe dann einfach geschaut, wo wer hinpasst. Das haben wir jetzt bis zu einem Großteil schon automatisiert und es wird noch weiter automatisiert.
Wir sind jetzt so weit, dass sich Silver Ager anmelden und einfach einen Lebenslauf erstellen können. Viele haben in ihrem Leben noch nie einen Lebenslauf geschrieben, weil sie einfach 40 Jahre beim selben Arbeitgeber waren und das nicht mussten. Mit dem Lebenslauf können sie sich dann, so wie bei LinkedIn, auf Jobs bewerben. Die Firmen erstellen sich ein Profil und können ein Projekt oder einen Job posten, aber sie können auch in den Pool reinschauen und suchen.
Wie sieht euer Geschäftsmodell aus?
Die Silver Ager zahlen nichts, sondern nur die Firmen. Und zwar auch aus dem Grund, weil sich in der HR-Branche alles hinbewegt hat zu einem Kandidatinnenmarkt. Das heißt, wenn du die Kandidatinnen hast, dann ist die Firmenseite relativ einfach. Weil der Mangel so groß ist.
Wie erreicht man Silver Ager?
Wenn wir an unsere Eltern denken, die jetzt an die 60 sind, dann haben viele von denen Facebook, googlen sehr viel, lesen Wikipedia, sind viel auf Youtube unterwegs und manche auf Instagram oder Pinterest. Aber ich würde sagen, Facebook ist schon sehr alt. Da erreichen wir unsere Zielgruppe sehr gut, auch mit ganz typischem Content-Marketing und Communitybuilding. Und dann müssen wir uns auch ein paar innovative Sachen überlegen, die offline basieren. Wir bauen zum Beispiel Kooperationen auf mit Firmen, die bereits die Zielgruppe haben. Ein gutes Beispiel ist das Fitness Center Holmes Place oder auch Miss Sporty. Dort trainieren sehr viele ältere Menschen und wir versuchen dort Flyer aufzulegen oder eine Cobrandig-Kooperation zu machen.
Das heißt, dass ältere Menschen, die gerade in die Pension gehen, eigentlich sehr digital sind?
Ja total. Im internationalen Vergleich sind die Österreicher schon noch weit hinten und es gibt auch ein starkes Stadt-Land-Gefälle. In Wien sind alle sehr digital. Da benutzen alle Handyparken oder auch Qando um zu navigieren. Aber ich glaube am Land ist es schon noch etwas anders.
Auf der anderen Seite der Plattform stehen die Unternehmen, die ältere Personen suchen. Wie ist die Resonanz?
Da muss ich ganz ehrlich sagen, das ist in Österreich gar nicht so einfach. Ich habe mich letztens mit einem Headhunter unterhalten und der kann das Gleiche sagen. Er hört die ganze Zeit „wir finden keine Leute“ aber gleichzeitig stellen die Firmen keine Personen über 45 ein. Der Vorteil bei uns ist, dass die Unternehmen zumindest nicht die Angst haben, dass sie an diese Menschen gebunden sind. Wir vermitteln Menschen vor allem für projektbasierte Arbeiten, Teilzeit oder eine geringfügige Anstellung. Damit können sie dann Spitzen abdecken zu saisonalen Peaks und haben nicht die Angst, dass sie die Person für immer behalten müssen.
Aus welchen Größenordnungen kommen die Unternehmen, die sich die Erfahrung und Arbeitskraft von Älteren holen?
Die Firmen, die wir über Kommunikation oder zum Beispiel LinkedIn erreichen, sind meistens eher Klein- und Mittelbetriebe. Viele vom Land. Das heißt, es gibt bei uns auf der Plattform momentan auch einen gewissen Location Missmatch, weil die meisten User aus den Großräumen Wien, Graz oder Linz kommen, der größte Bedarf bei Firmen aber auf dem Land ist, wo es kaum mehr junge Menschen gibt. Zu den Firmen, die wir aktiv ansprechen gehören zum Beispiel Novomatic mit 25.000 Mitarbeitern und wir haben auch viele Hidden Champions dabei. Die AVL ist zum Beispiel auch sehr innovativ, was das anbelangt. Alpla in Vorarlberg. Und dann auch Betriebe wie Spar, XXXLutz – solche Größen haben wir dann auch.
Für welche Tätigkeiten holen sich Firmen ältere Menschen?
Das kann man ganz klar sagen. Handel, Hotellerie, Homes Place oder diese Art von Dienstleistung. Da geht es um Kundenservice, Rezeption, Kundenberatung und Verkauf. Das sind so die größten Felder. Kundenorientierte Jobs. Und bei Hidden Champions wie Alpla zum Beispiel geht es um Expertise in einem gewissen Feld. Angefangen von Logistik bis hin zu Qualitätssicherung, Prozessoptimierung.
Können ältere Menschen den Skill Missmatch in manchen Regionen lösen?
Es gibt derzeit ganz klar einen Skill Missmatch. Vor allem auch in Deutschland, wo du keine passenden Arbeitskräfte hast für das, was eigentlich gesucht wird. Das kann man zum Teil mit älteren Menschen lösen, vor allem im technischen Bereich, Ingenieurswesen zum Beispiel. In Baden Württemberg werden zum Beispiel Schiffsbauexperten gesucht. Das sind Jobs, für die Junge vielleicht nicht mehr ausgebildet wurden oder den Job gar nicht erst machen wollen.
Derzeit sind am Markt natürlich Entwickler, UX-Designer am meisten gefragt – das können auch wir nicht lösen. Wir haben zwar Programmierer, aber die beherrschen dann ältere Programmiersprachen wie COBOL. Es gibt aber immer wieder Firmen, die mit ganz spannenden Ideen kommen. Erst letztens hat mich eine Agentur gefragt, die AIs baut, ob wir nicht Experten in gewissen Feldern haben, zum Beispiel einen Arzt. Sie brauchen nämlich um diese AI zu entwickeln einen Fachexperten, der dem Data Scientist dabei hilft, die Daten aufzubereiten. Das ist ein cooles Beispiel für eine Kreierung eines neuen Jobs, an die vielleicht noch keiner gedacht hat.
Der Altersdurchschnitt in Österreich steigt ja an. Siehst du deine Zielgruppe, also die Bewerber, vielleicht auch als potenzielle Tester für Unternehmen, um deren Kundenzentrierung noch besser hinzubekommen?
Das ist auch etwas, was wir sehr forciert an Unternehmen herantragen. Zu sagen, dass ihre Zielgruppe eigentlich 55-60+ ist und sie aber nie mit der Zielgruppe testen. Das war auch eine unserer ersten Vermittlungen, an die ÖBB. Die haben auch eine sehr alte Zielgruppe, wollen aber neue Serviceleistungen entwickeln. Da haben wir zwei Damen vermittelt, die Workshops mitveranstaltet und mitgetestet haben.
Ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich der Arbeitsmarkt aus deiner Sicht entwickeln?
Am Arbeitsmarkt bin ich mir sicher, dass der Bedarf an Arbeitskräften noch viel größer wird. Das was wir jetzt sehen, dass alle Unternehmen hängeringend nach Entwicklern suchen – das wird auch noch in ganz viel anderen Arbeitsbereichen passieren. In drei Jahren kommt die größte Babyboomer-Pensionierungswelle. Da gehen Polizisten, Lehrer oder Staatsanwälte in Pension. Die sind dann alle weg und es hat noch keiner einen wirklichen Plan, wie man diese Lücken füllen soll. Das wird uns alle sehr treffen und es gibt halt ein paar Unternehmen, die das schon vorbeugend angehen. Und dann gibt es viele, die Scheuklappen aufhaben und nicht darüber nachdenken wollen.
Und wo siehst du WisR in der Zukunft?
Wir haben uns vorgenommen, dass wir in drei Jahren im DACH Raum sehr groß sind. Und in fünf Jahren dann noch Skandinavien, also Schweden, Finnland, Dänemark oder vielleicht Niederlande dazu zunehmen. Oder vielleicht sogar nach Übersee zu gehen. Das hängt aber noch von den Investoren ab.
Hast du konkrete Tipps für Firmen, Startups oder HR-Abteilungen, um die Zusammenarbeit mit älteren Personen erfolgreich zu gestalten für beide Seiten?
Also Punkt eins ist: Man muss es sich einmal trauen. Es gibt auch in Recruiting Positionen sehr viel junge Menschen. Die dann schon einmal Angst haben im Vorstellungsgespräch, wenn sie einem 60-Jährigen gegenübersitzen und Fragen stellen müssen. Man muss es sich einmal trauen und diese Scheu ablegen. Es gibt Lebensphasen, in denen man gewisse Kompetenzen hat. Und die Empathie, emotionale Kompetenz, Risikoeinschätzung oder Kommunikationsfähigkeit steigen mit dem Alter. Da muss man auch einfach ganz gezielt die Personen an die richtigen Positionen setzen.