Interview

woom-Geschäftsführer: „Es liegt noch kein woom-Rad auf dem Schrott“

Guido Dohm ist neuer CEO bei woom © woom bikes
Guido Dohm ist neuer Geschäftsführer bei woom © woom bikes
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Der Klosterneuburger Kinderfahrrad-Hersteller woom profitiert vom Rad-Boom in der Corona-Krise. Aber auch grundsätzlich sind die leichten Alu-Räder regelmäßig ausverkauft und kosten deshalb gebraucht mitunter so viel wie neu, erzählt Guido Dohm im Interview mit Tech & Nature. Er ist neuer Geschäftsführer bei woom und will dort auch in Sachen Nachhaltigkeit und einiges bewegen.

Sie sind mitten in der Corona-Krise zu woom gekommen – wie war der Start in den neuen Job?

Guido Dohm: Es gibt sicher günstigere Momente, um in einen Job zu starten. Nach zehn Arbeitstagen haben wir uns entscheiden, alle Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Wir werden auch nicht mehr komplett zum alten Work-Style zurückkehren, auch nicht, wenn Corona vorbei ist. Die Flexibilisierung hat sich bei uns bewährt und sie macht uns auch zu einem attraktiveren Arbeitgeber.

Mitten in dieser Umstellung hat der Fahrradmarkt enorm geboomt. Spürt woom diesen Trend nach wie vor?

Ich glaube, dass dieser Trend auch losgelöst von Corona noch lange anhalten wird. Alle Fahrradhersteller haben momentan Rückenwind. Das rührt wohl daher, dass das Fahrrad und die Bewegung an der frischen Luft gleich mehrere Megatrends abdeckt. Menschen entwickeln gerade ein ganz anderes Umweltbewusstsein. Greta Thunberg hat dieser Bewegung zusätzlich Schub gegeben. Gleichzeitig ist man in vielen Innenstädten mit dem Fahrrad viel schneller als mit dem Auto. Und man hat kein Parkplatzproblem. Die Leute machen vieles mit dem Rad, denn es ist schneller, gesünder, umweltschonender und günstiger. Außerdem gibt es mit dem E-Bike eine technische Weiterentwicklung, die das Radfahren auch für wenig sportliche Menschen ermöglicht.

Stellt sich der Boom für Kinderfahrrad-Hersteller anders dar, weil vielleicht öfter ein neues Rad gekauft werden muss und mehr Kinder Rad fahren als Erwachsene?

Bei Erwachsenen geht man davon aus, dass sie sich vielleicht alle acht Jahre für ein neues Fahrrad entscheiden. Kinder brauchen mindestens alle 24 Monate ein neues Rad, dann ist es an der Zeit, zur nächsten Rahmengröße zu wechseln.

Wenn ein Kind ein woom Bike gehabt hat, stellen wir fest, dass es wieder eines haben will. Das liegt daran, dass wir im Unterschied zum Mitbewerb konsequent auf Leichtbau setzen. Die meisten Kinder müssen gemessen an ihrem Körpergewicht Räder bewegen, die im Verhältnis sehr viel schwerer sind als jene von Erwachsenen – das kann keinen Spaß machen. Der Erfolg gibt uns Recht, wir haben bis zu 40 Prozent Marktanteil bei Kinderrädern in Österreich.

Gibt es da überhaupt noch Wachstumspotenzial?

Natürlich ist uns klar, dass wir in Österreich eine Sättigung erreicht haben – aber wir haben noch sehr viele weiße Flecken in Europa und Übersee und können dort in den nächsten Jahren wachsen. Wir sind regelmäßig ausverkauft und gehen davon aus, dass das so bleiben wird. Ich muss jetzt mit meinem Team dafür sorgen, dass wir jedes Jahr 100.000 Räder on top in der gleichen Qualität und mit dem gleichen Service herstellen können.

Sie kommen aus der Bekleidungsindustrie, die nach wie vor ein Problem mit Nachhaltigkeit und fairen Arbeitsbedingungen hat. Warum ist es in dieser Branche besonders schwierig, nachhaltige, faire Produkte zu verkaufen?

Sie haben völlig Recht, dass es in der Fashion Industrie schwierig ist, nachhaltige Produkte zu verkaufen. Jeder will zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß. Wenn man fragt, ob Kunden für eine Jacke, die komplett recycelt ist, mehr bezahlen würden, wird die Luft sehr dünn. Bei Jack Wolfskin haben wir früh auf Recycling gesetzt. Die Vaude-Geschäftsführerin Antje von Dewitz meinte einmal, wenn wir das durchkalkulieren würden, würden wir uns aus dem Markt katapultieren. Man muss also an anderer Stelle seine Prozesse in den Griff bekommen, um sich diese Technologie im Absatz leisten zu können.

Wie ist das in der Fahrrad-Branche?

Unsere Räder sind sehr nachhaltig, weil sie eine so hohe Qualität haben, dass man sie an mehrere Generationen von Kindern durchreichen kann. Sie haben ja teilweise auch einen aberwitzigen Wiederverkaufs-Wert. Auf Willhaben gibt es einige Familien, die verkaufen woom-Räder nach zwei Jahren zum Neupreis und es gibt Kunden, die das kaufen, weil sie zu diesem Zeitpunkt vielleicht keines von woom direkt bekommen und nicht sechs bis acht Wochen warten wollen.

Wir stellen auch für jede Produktgeneration eine Ersatzteilversorgung sicher. Das machen wir wie die Automobilindustrie, wo man auch nach 20 Jahren noch Ersatzteile für seinen Wagen bekommt.

Das niederösterreichische Bike-Startup woom stellt Kinderfahrräder her © woom bikes
Das niederösterreichische Bike-Startup woom stellt Kinderfahrräder her © woom bikes

Woom ist letztes Jahr in die Kritik geraten, dass die Arbeitsbedingungen in der Produktion in Kambodscha nicht gut sind. Sie haben Erfahrungen in der Produktion in dieser Region – sind Sie deshalb geholt worden?

Ich bin dafür nicht geholt worden, aber es schadet natürlich nicht, dass ich in dem Bereich jahrzehntelange Erfahrung mitbringe. In den letzten vier Jahren war ich auch Geschäftsführer der Niederlassung von Jack Wolfskin in Vietnam und habe mich regelmäßig in asiatischen Beschaffungsländern bewegt. Wenn man sich den Zeitraum von 1995 bis 2020 ansieht – was in diesem Zeitraum durch die Ansiedelung von US- und europäischen Unternehmen an positiven Entwicklungen in diesen Ländern passiert ist, ist unglaublich.

Ohne dieser Industrie-Ansiedlung würden die Leute immer noch auf dem Feld arbeiten und nicht genug verdienen, um ihre Familien ernähren zu können und schon gar nicht, um ihre Kinder in die Schule zu schicken. Wir arbeiten seit Jahren daran, faire Löhne zu bezahlen. Wir bezahlen aber den Fabrikbesitzer und der muss motiviert werden, die Vergütung so zu kanalisieren, dass die Menschen und ihre Familien von den Löhnen leben können. Vor 25 Jahren war Kinderarbeit noch die Normalität, heute gibt es das in diesen Ländern nicht mehr. Dann hat man dafür gesorgt, dass die Hygienebedingungen verbessert werden – viele Fabriken haben jetzt eine eigene Arzt-Station auf dem Gelände. Es gibt vernünftiges Essen in den Kantinen – ich esse das gleiche, wenn ich dort bin.

Was ich aus meinen Erfahrungen in der Bekleidungsbranche in Asien gelernt habe:  Sozialstandards verbessern sich am raschesten, wenn man sich mit anderen Herstellern zusammenschließt – das können durchaus Mitbewerber sein. Zur Kontrolle gibt es auch surprise audits, da kommt überraschend eine Gruppe an Kontrolleuren, die ausschwärmen – es würde auffallen, wenn etwas nicht stimmt. In der Kritik an woom kam vor, dass angeblich nicht Urlaub gewährt worden wäre. Das kann Ihnen in Klosterneuburg auch passieren, dass ein Urlaubsantrag mal nicht gewährt werden kann, weil viel zu tun ist. Das ist aus dem Zusammenhang gerissen.

Was tut woom, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern?

Wir schauen uns die Verhältnisse in den Fabriken, die von unseren Partnern beauftragt werden, sehr genau an. Es gibt surprise audits und ein Beschwerdemanagement, das auch anonym genutzt werden kann. Ich glaube, es ist ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess. Der Standard dort ist nicht mit dem in Wien oder Klosterneuburg vergleichbar, aber man kann solche Dinge oft nicht von einem Tag auf den anderen verändern. Man muss ein Ziel vor Augen haben und das konsequent verfolgen und viel Überzeugungsarbeit bei den Produzenten vor Ort leisten.

Das heißt, die Produktion bleibt in Kambodscha?

Für den nordamerikanischen und für den Asia Pacific Raum werden wir weiterhin in Asien produzieren. Das ergibt geografisch einfach Sinn. Für die europäischen Märkte arbeiten wir am Aufbau einer europäischen Produktion. Für diese Märkte können wir dann „Made in Europe“ auf den Rahmen prägen. Das macht auch aus ökologischen Gründen Sinn und da denken wir sehr fortschrittlich. Wenn wir jedoch weiterhin die Rahmen und die Komponenten aus Asien beziehen würden und sie nur in Europa montieren, haben wir ja immer noch die CO2-Belastung durch den Transport. Wenn wir es schaffen, die komplette Produktion in Europa umzusetzen, handeln wir Ressourcen-schonend und sind viel schneller am Markt, um Nachfragespitzen besser zu befriedigen.

Haben Sie schon einen konkreten Standort im Auge?

Ja, es wird ein Anrainerstaat von Österreich werden.

Wann könnte diese Produktion in Europa starten?

Mit der Assemblierung werden wir schon im Dezember beginnen. Die Vorstufen werden aber noch mehr Zeit in Anspruch nehmen, da wir da viel in Richtung Automatisierung denken. Ich rechne mit 15 Monaten Vorlauf.

Sie haben bei woom auch ganz generell die CSR/Nachhaltigkeits-Agenden übernommen – was planen Sie in diesem Bereich in den nächsten Monaten?

Wenn wir über Nachhaltigkeit nachdenken, haben wir zwei Ansatzpunkte. Der eine ist eben, dass wir Produktionsmarkt und Absatzmarkt sehr nahe aneinander bringen. Dann müssen weder Mitarbeiter noch Komponenten oder fertige Produkte weit reisen. Der zweite Punkt ist, dass wir uns über den Einsatz von Materialien Gedanken machen. Wie geht man mit den verbauten Materialien um, wenn ein Rad nach vielen, vielen Jahren tatsächlich einmal reif für den Schrott ist? Wie kann man möglichst viel von diesem Material wiederverwenden?

Was passiert derzeit, wenn ein woom Bike ausgedient hat?

Unseres Wissens gibt es noch kein einziges woom Bike, das ausgedient hat. Das Unternehmen gibt es seit sieben Jahren und es liegt noch kein woom-Rad auf dem Schrott. Da würde ich meine Hand dafür ins Feuer legen.

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